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Selbstfliegende Taxis kommen schon bald - Selbstfahrende Taxis nicht!

Ein Kommentar von Jan Cassalette

jan.cassalette@mebility.de

21.8.2018

 

Start-Ups, IT- und Autokonzerne melden derzeit im Wochenrhythmus Durchbrüche beim autonomen Fahren. Schon bald, so entsteht der Eindruck, können sich Kunden der Automobil- oder Mobilitätsindustrie von Robo-Taxis durch die Gegend chauffieren lassen. Doch ganz so schnell wie häufig suggeriert geht es nicht. Es wird wohl eher 30 als 3 Jahre dauern, bis wir den letzten Meter europäischer Straßen autonom erobert haben. In Innenstädten ist der Verkehr chaotisch und kaum in hochgradig formalisierte Algorithmen zu pressen. Wir vergessen oder sind uns einfach nicht bewusst, wie gut der Mensch ist in Disziplinen, die den Maschinen noch Kopfzerbrechen bereiten: Kreativität, Flexibilität, Abstraktionsvermögen. So lange Computer nicht ausreichend in der Lage sind, auf Situationen zu reagieren, die ihnen vorher so nicht beigebracht wurden, werden sie schlicht schlechte Autofahrer bleiben. Und um auf eine ähnliche Fehlerquote zu kommen wie der Mensch, müssten Computer sehr, sehr zuverlässig arbeiten, denn: 2017 sind alle Kfz in Deutschland zusammen 732.000.000.000 Kilometer gefahren (siehe goo.gl/ydM8bs). Im selben Jahr sind 3.180 Menschen im Straßenverkehr gestorben – alle 230.000.000 Kilometer ein Mensch. Trotz der Dramatik hinter jedem einzelnen tödlichen Unfall ist der Straßenverkehr viel sicherer als sein Ruf (was natürlich nicht als Aufruf verstanden werden soll, Anstrengungen zu unterlassen, die Zahl der Verkehrstoten auf Null zu reduzieren). 

 

Schaut man dagegen auf die (verfügbaren) Daten der zahlreichen Feldversuche autonom fahrender Autos, ergibt sich ein ganz anderes Bild: Uber beispielsweise, tragischerweise für den ersten dokumentierten tödlichen Unfall eines „Robo-Taxis“ verantwortlich. Dabei sollen derzeit etwa 200 Fahrzeuge für das US-amerikanische Unternehmen unterwegs sein (siehe goo.gl/5cj5sE), die insgesamt „mehr als eine Million Meilen“ zurückgelegt hätten. Das wären nur 5.000 Meilen (ca. 8.000 Kilometer) pro Fahrzeug. Und bereits nach 1.800.000 Kilometern ein tödlicher Zwischenfall. Wenn man sich Bilder dieses tragischen Unfalles anschaut, kann man sogar den Eindruck gewinnen, dass die Verkehrssituation ziemlich übersichtlich war. Eine breite, gerade Straße ohne wesentliche Ablenkungen durch andere Verkehrsteilnehmer oder Querverkehre. Unterm Strich also eine, Stand heute, dramatisch schlechte Bilanz für autonom fahrende Fahrzeuge – und dabei sind die Robotaxis noch nicht einmal in europäische Innenstädte vorgedrungen, sondern bewegen sich auf übersichtlichen, breiten Straßen (in Deutschland z.B. auf Autobahnen) mit zuverlässiger Fahrbahnmarkierung und vorhersehbarem Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer. Andere Unternehmen stehen übrigens nicht wesentlich besser da. Glücklicherweise hat es keine (bekannten) tödlichen Unfälle bei Google und Co. gegeben, dafür aber viele, die nahelegen, dass es noch nicht so weit her ist mit der autonomen Verkehrssicherheit, wie gerne suggeriert wird. 

 

Auf der anderen Seite fliegen Flugzeuge seit Jahrzehnten in vielen Situationen völlig automatisch. Es wird vielleicht nicht mehr lange dauern bis Passagierflugzeuge autonom von A nach B fliegen und der Mensch nur noch sicherstellen muss, dass die Maschinen auch einwandfrei funktionieren. Autopiloten und Systeme, die den Piloten in bestimmten Situationen sogar bevormunden und etwa unzulässige Manöver des Piloten nicht ausführen, haben das Fliegen sicherer gemacht als jemals zuvor. In der Luft hat man es eben mit überschaubareren Situationen zu tun, zumindest wenn es um Flugverkehr geht. Dieses Maß an Sicherheit lässt sich auch auf Flugtaxis übertragen, viel Technik und IT quasi wiederverwenden. Richtet man außerdem Korridore für autonome Fluggeräte ein, ließen sich unvorhersehbare oder sogar chaotische Verkehrssituationen quasi ganz ausschließen. Sicherlich bringt uns anekdotische Evidenz nicht weiter und man sollte nicht den Fehler machen, den Entwicklern von Flugtaxis alles und den von Robo-Taxis gar nichts zu glauben. Doch sind zahlreiche Ideen bereits in flugtaugliche Prototypen umgesetzt worden und möglicherweise wird es noch in diesem Jahrzehnt erste Dienste geben, die sicher und auch günstig genug für den Massenmarkt sind. 

 

Flugtaxis werden wir daher wahrscheinlich viel eher in Regelbetrieb sehen als selbstfahrende Autos in europäischen Innenstädten.